Mittwoch, 12. Juli 2017

dokumenta 14 in Kassel

Hier war das Werk von Máret Ánne Sara, Pile o’ Sápmi, 2017,  im Bild zu sehen. Leider darf man die Pressefotos der documenta 14 nur bis zum 31.12.2017 lizenzfrei zeigen. Deshalb ist es hier nicht mehr zu sehen. 

Dieses Jahr pilgert die Kunstwelt nach Athen und Kassel, um die Werke zu sehen, die für die vierzehnte Dokumenta ausgewählt bzw. teilweise speziell dafür gestaltet worden sind. Virtuell dorthin zu pilgern ist allerdings nicht ganz einfach. Die Website dokumenta 14 ist erstmal verwirrend. Sie hat zwar am oberen Rand ein Menü, das man aufklappen kann, doch das fällt erst auf den zweiten Blick auf. Ansonsten sieht sie einem Blog ähnlich, der über alles Mögliche informiert, was gerade so am Laufen ist. Einen Überblick über die Ausstellung erhält man erst mit dem Menüpunkt "Öffentliche Ausstellungen". Dann öffnet sich die Seite, auf der man die Namen der Künstler und Künstlerinnen und die Orte, an denen die Kunstwerke zu finden sind, - jeweils geordnet nach Athen und Kassel - aufgelistet bekommt. Und natürlich sind es viel zu viele Kunstwerke, so dass man nicht einmal ansatzweise einen Überblick bekommt, wenn man sich nicht tagelang mit dieser riesigen Kunstausstellung befasst. Soviel als Einleitung!

Umgeschaut haben wir uns nur in Kassel. Mir persönlich ist dabei aufgefallen, dass man zusätzliche Informationen zu den Kunstwerken braucht, weil die Werke aus sich selbst heraus nicht unbedingt verständlich sind. (Aber möglicherweise war das ja bei der Kunst immer so? Schließlich musste man auch bei mittelalterlichen Altären den Gläubigen erklären, welche Geschichten von Christus und Heiligen die Bilder erzählten.)



Nun also zu den Kunstwerken:

Auf dem Friedrichsplatz steht von

- Marta Minujín, Der Parthenon der Bücher, 1983/2017

Angesehen haben wir uns zuerst das Bild , das von dem gleichartigen Werk im Jahr 1983 gemacht wurde. Für Kassel gab es dann einen Aufruf zur Bücherspende, mit einer eindrucksvollen Liste von Büchern, die alle schon einmal irgendwo verboten waren! Wir haben festgestellt, dass wir alle etwas davon im Bücherschrank stehen haben. Eine ganze Reihe von Bildern von dem Tempel der verbotenen Bücher in Kassel gibt dann in diesem Blog zu sehen (übrigens sind dort noch mehr Dokumenta-Fotos zu finden, denn die Bloggerin lebt in Kassel).

Informationen zum Parthenon, dem berühmten Tempel auf der Akropolis von Athen gibt es natürlich bei Wikipedia. Er wurde zwischen 447 und 438 v. Chr. erbaut und ist siebzig Meter lang, dreißig Meter breit und zehn Meter hoch. Im Inneren stand die riesige goldene Statue der Athene und dort wurden auch der Schatz des Attischen Seebundes und die Silberreserven der Stadt aufbewahrt. Der Parthenon hat eine bewegte Geschichte: Er war im Mittelalter eine christliche Kirche; später dann eine Moschee und gilt heute als Symbol der Demokratie und der kulturellen Vormachtstellung des Westens!

Minujins Parthenon der Bücher war 1983 kurz nach dem Sturz der Junta ein Teil des Kunstprojektes "La caída de los mitos universales" (Der Sturz der universalen Mythen). 25.000 Bücher, die von den Militärs "weggesperrt" worden waren, bedeckten eine maßstabsgetreue Replik des griechischen Bauwerks, das auf einer Seite angehoben war und auf einem öffentlichen Platz im Süden von Buenos Aires stand. In Kassel ist dieses Kunstobjekt mit neuen Büchern wieder aufgebaut worden. Am Ende der Dokumenta sollen die Bücher dann wieder in Umlauf gebracht werden.

Um Bücher geht es auch bei der Installation von

- Maria Eichhorn, "Unrechtmäßig aus jüdischem Eigentum erworbene Bücher"

Erstmal fiel uns natürlich die Bücherwand auf, zu der man wissen muss, das es sich dabei um Bücher handelt, die die Berliner Stadtbibliothek 1943 unrechtmäßig aus jüdischem Eigentum erwarb. Andere Bilder zeigen, dass der Raum außerdem mit Dokumenten und Bildern bestückt ist. Dabei geht es um verschwundenes und wieder aufgespürtes NS-Raubgut. Die Künstlerin ruft übrigens auch zu einem Symposium zum Thema "Verwaistes Eigentum in Europa", in dem von ihr gegründeten Rose Valland Institut auf, das sie anlässlich der documenta 14 gegründet hat und das vom 10. Juni bis 17. September 2017 seinen Sitz in der Neuen Galerie in Kassel hat. Mehr dazu kann man auch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung lesen.

Eine ganz persönliche Auseinandersetzung mit der Erfahrung von Unrecht, das staatlicherseits als Recht gilt, findet sich bei der Installation von

Máret Ánne SaraPile o’ Sápmi (Haufen vom Samiland), 2017,

Dieses Bild stammt von einer Kunstaktion, die vor einem Jahr im Februar in Tana in Saami / Nordnorwegen stattfand. Wir brauchten eine Weile um zu erkennen, dass die Pyramide aus skelettierten Rentierköpfen besteht, die teilweise offenbar noch Fleisch an sich haben und wahrscheinlich stinken. Die Herden müssen nach dem norwegischen Rentiergesetz von 2007 reduziert werden; das heißt, dass die Tiere umgebracht werden - deshalb die Löcher in den Köpfen. Tatsächlich bedeutet das für die samischen Rentierzüchter, das sie kaum noch von ihrer Arbeit leben können. Deswegen ging der Bruder von Máret Ánne Sara vor Gericht und sie selbst reagierte mit dieser Kunstaktion, sowie einer Veranstaltung mit Filmen und Diskussionen. Für den "Haufen" gibt sie Vorbilder aus der Kolonialierung Nordamerikas an, als die Büffel und damit die Lebensgrundlage der Indianer massakriert wurden und sich Menschen auf riesigen Haufen von Büffelköpfen und -häuten fotografieren ließen.

Das Problem ist, dass es in den Weiten Lapplands wertvolle Rohstoffe gibt, die Industriekonzerne anlocken. Zwar hat der Bruder der Künstlerin seinen Prozess gewonnen. Doch die Regierung gibt nicht auf und ist in die Berufung gegangen.

In Kassel sieht man übrigens nicht den Haufen aus Rentierköpfen. Die Künstlerin hat in monatelanger Arbeit einen

Vorhang aus Rentierköpfen

gefertigt, die ganz und gar skelettiert worden sind (also auch nicht mehr stinken?).

Gesprochen haben wir auch über das Werk von

- Ibrahim Mahama, Check Point Sekondi Loco. 1901–2030. 2016–2017, 2016–17

Der Künstler aus Ghana hat die beiden Gebäude der Torwache in Kassel verhüllt. Sie begrenzen die Haupteinfallstraße von Wilhelmshöhe zur Innenstadt. Ach, auch so ein Christo, war ein Kommentar. Aber dann haben wir genauer hingeschaut und überlegt, was für ein Material er für die Verhüllung genutzt hat. Es sind gebrauchte Säcke, die er in Ghana auf Märkten gegen neue eingetauscht hat. Das gab dann doch Anlass, darüber nachzudenken, was darin transportiert worden ist, wie die Waren zu uns kommen und so weiter ...

Als Letztes ging es dann zum Vorhang von

- Beatriz González, Telón de la móvil y cambiante naturaleza (Vorhang beweglicher und veränderlicher Natur), 1978

Wie groß er ist und wie er im Raum hängt kann man übrigens hier ganz gut sehen, wo er im Hintergrund der Aufnahme hängt. "Was seht ihr?", war wie immer die Frage und keiner kam auf das bekannte Bild von Manet "Frühstück im Grünen", das hier verfremdet wiedergeben wird. Und die Unterschiede? Natürlich, der Vorhang ist viel weniger detailreich, er vergröbert und vergrößert das impressionistische Kunstwerk. Das wirft unter anderem die Frage danach auf, wie europäische Kunstwerke in anderen Kulturen rezipiert werden und, welche Bedeutung Reproduktionen haben können.

Auf unserer Surfreise haben wir natürlich nur einen winzigen Ausschnitt der Dokumenta gesehen. Aber vielleicht ist das ja ein Anlass, sich damit noch intensiver zu befassen?