Donnerstag, 3. August 2017

Skulptur Projekte 2017 in Münster

Ausschnitt aus der Website der Ausstellung
Seit 1977 gibt es auch in Münster in Westfalen eine wiederkehrende Ausstellung moderner Kunst. Allerdings findet die "Skulptur Projekte" nicht wie die Dokumenta im fünfjährigen Rhythmus, sondern nur alle zehn Jahre statt. In Münster sind ebenfalls Künstlerinnen und Künstler aus aller Welt eingeladen. Aber dort sind sie aufgefordert direkt in der Stadt neue Werke zu erschaffen. So sind dieses Jahr 35 "neue künstlerische Positionen zwischen klassischer Bildhauerei und performativer Kunst" - so ist es auf der Website der Stadt zu lesen - zu sehen oder besser zu erleben. Die Ausstellung läuft vom 10. Juni bis zum 1. Oktober 2017 und der Eintritt kostet nichts.

Eine vollständige Auflistung aller Künstler und ihrer Werke findet sich auf der Ausstellungswebsite. Einen kürzeren Überblick gibt die Seite des Art-Magazins, dort werden die Künstler mit ihren Werken kurz umrissen und auch ein Stadtplan mit den Orten, wo man die Kunst findet, ist abgedruckt.

Wer sich selbst ein Bild von der Ausstellung machen will, sei hier gleich vorneweg auf zwei interessante Reportagen verwiesen, die Bilder, Texte, Videos und Interviews von der Ausstellung zeigen:
Kulturkenner

Eigentlich wollte ich beim Kunstsurfen als erstes das Werk von

- Cosima von Bonin + Tom Burr, Benz Bonin Burr 2017,

besprechen, aber irgendwie ist es in meiner Liste untergegangen und wir haben es uns gar nicht angesehen. Deshalb folgen hier ein paar Gedanken dazu: Erstmal fragt man sich natürlich, was der Laster mit der schwarzen Kiste vor dem Museum soll. Dann denkt man vielleicht an einen Kunsttransport. Es werden ja immer und überall Ausstellungen veranstaltet, die das Publikum in Massen in die Kunsttempel ziehen sollen. Dann denkt man vielleicht, dass die goldene Figur auch auf dem Laster steht. Aber das stimmt nicht, sie steht auf dem Museums-Vorplatz hinter dem Transporter. Dort gibt es noch eine ganze Reihe von anderen Skulpturen, die man auf diesem Bild nicht sieht. Jetzt also der Laster mit einer "Black Box" als "Plastik" als, wie in dem Text auf der Seite des Kunstvereins zu lesen ist, "Referenz auf Moores Skulptur aus der Klassischen Moderne: Sie kann verstanden werden als der Versuch der Emanzipation einer jüngeren Generation von BildhauerInnen. Zugleich lenkt diese Intervention die Aufmerksamkeit auf die Platzgestaltung, die Wirkmächtigkeit von Skulpturen im öffentlichen Raum." 

Und so haben wir gleich das Werk des Japaners 

- Koki Tanaka, Provisional Studies: Workshop #7 How to Live Together and Sharing the Unknown (Provisorische Studien: Workshop #7 Wie zusammen leben und das Unbekannte teilen) 2017

angeschaut. Auf den ersten beiden Bildern sieht man einen relativ leeren Raum mit großen Bildschirmen, einen Tisch mit Stühlen und darüber eine Lampe in Form von mehreren Glühbirnen. Das sieht erstmal ziemlich unspektakulär aus. Aber es gibt eine Notiz der Universität Münster über einem Workshop zur Flüchtlingskrise in Deutschland, der im Zusammenhang mit dem Werk abgehalten wurde. Koki Tanaka geht es um die Frage, "wie Menschen unterschiedlicher Herkunft miteinander leben können". Der Workshop war Teil des Werkes. Dort wurden acht Thesen mit acht TeilnehmerInnen unterschiedlicher Herkunft diskutiert. Das Ganze wurde gefilmt und aus dem Filmmaterial entstand eines der Videos, die auf den oben erwähnten Bildschirmen laufen. Mit den Teilnehmern wurden weitere Treffen abgehalten, die ebenfalls alle gefilmt wurden. Dabei gab es unterschiedliche Aufgaben zu bewältigen. Im Internet sind Videos aus dieser Serie zu sehen, die in der Ausstellung gezeigt werden (allerdings weiß ich nicht, ob ich alle gefunden habe): 

- eine Einführung in Interviewtechnik
- gegenseitige Interviews in einem Auto im Parkhaus, 
- einander filmen, dabei geht es zuerst darum, worauf die Teilnehmer sitzen wollen,
- Hinuntergehen in das Parkhaus unter dem Gebäude, 
- Workshop zur Flüchtlingskrise
- das Lösen Sonderaufgaben

Wir haben eine Weile gebraucht, um uns mit dem Inhalt dieses Werkes vertraut zu machen. Was mir einfiel war der Begriff "soziale Plastik", den Ursel dann gleich bei Google gesucht hat. So kamen wir auf den Ursprung dieser Art von Kunst bei Beuys zu sprechen, der in Wikipedia umfassend erläutert wird. Seine Idee dahinter war, dass Kunst die Gesellschaft verändern sollte und das auch jene Handlungen umfasse, die die Strukturierung und Formung der Gesellschaft zum Ziel haben. Koki Tanaka scheint es allerdings mehr darum zu gehen, die gesellschaftlichen Strukturen zu verstehen, die durch die Durchmischung der Völker, Kulturen und Sprachen neu im Entstehen sind.  

Eingängiger erschien das Werk von 

- Hervé Youmbi, Les masques célèstes (Himmlische Masken) 2017, (etwas größere Bilder finden sich hier)

aus Kamerun. Die größeren Masken sind etwa zwei Meter hoch, die kleineren um einen Meter. Wissen muss man, dass sie über zwei Grabmälern auf dem historischen und inzwischen aufgelassenen Überwasserfriedhof der Stadt aufgehängt sind, deren Skulpturen beide den (ewigen?) Schlaf zeigen - ein schlafender Löwe und die Figur des liegenden Freiherrn Ludwig Roth von Schreckenstein (gest. 1858). In einem Interview erklärt der Künstler, dass die kleineren Masken denen entsprechen, die man in seiner Heimat noch heute rituell für den Kontakt mit den Geistern benutzt, während er die größeren selbst entworfen hat. Die Symbole auf den großen Masken - wir erkannten einen Gekreuzigten, aber es gibt auch afrikanische Symbole wie den Totenkopf, der für die Vorfahren steht, und Eidechse und Vogel, die Botschafter zwischen dem Reich der Toten und der Lebenden sind,  - führen zu der Frage, wie wir hier im christlichen Europa über den Tod und das Jenseits denken, konfrontiert mit den Vorstellung aus einer uns fremden Kultur.  

Das Werk von 

- Thomas Schütte, Nuclear Temple (nuklearer Tempel) 2017

schaut man sicher besser vor Ort an als im Internet. Auf dem Bild kann man die Höhe von 3 Meteren und den Durchmesser von ca. 2,50 nicht erkennen, da keine Menschen zu sehen sind. Wahrscheinlich muss man auch seinen Kopf einmal durch eine der Öffnungen hineinzwängen, um zu sehen, dass der Tempel innen in Kompartimente abgeteilt und durch eine Loch in der Mitte von oben beleuchtet ist. Unsere Assoziationen gingen von der Kuppel der Atomkraftwerke zu Kirchenkuppeln und passen damit gut zur Bezeichnung des achteckigen Werkes. 

Man muss außerdem noch wissen, dass der Stahlkoloss auf dem Alten Zoogelände der Stadt steht und zwar zwischen dem sogenannten Eulenturm, der noch aus dem Zoo stammt, und einem kleinen mittelalterlichen Gebäude, das den Wasserstand in den Gräben ausglich, die zur Stadtbefestigung gehörten. 

In schönster Kunsthistorikersprache heißt es dazu auf der Website der Ausstellung: "Das Werk gibt Anlass, über ein Verständnis von Geschichte nachzudenken, das mit abgeschlossenen zeiträumlichen Einheiten hantiert. Der Nuclear Temple verweist auf die Fluchtlinien der Zivilisation und ihre Vernichtungen, den Gang der Zivilisierung und ihrer Wirkung auf die Verfasstheit des Gemeinwesens und auf diejenige des Subjekts." 

Ein Kommentar dazu war: "Das kann man sicher auch verständlich ausdrücken." Ich versuch das hier mal aus Spaß und schreibe: Man könnte bei diesem Werk über unsere Einteilung der Geschichte in abgeschlossene Zeiträume nachdenken. Der Tempel verweist auch darauf, dass kulturelle Erscheinungen - wie die mittelalterliche Stadtbefestigung, der Zoo und auch die Macht der Atomkraft - kommen und vergehen, dass sie sich zugleich aber auf die Gesellschaft und auf Einzelpersonen auswirken. (Klingt ein bisschen banaler oder?)

Das nächste Werk führte uns in den Laden von 

- Michael Smith, Not Quite Under_Ground (nicht ganz Untergrund) 2017, mehr Bilder dazu gibt es hier

Das Tätowierstudio, das Sonderkonditionen für Menschen über 65 anbietet, ließ uns einmal mehr Tätowierungen und den veränderten Blickwinkel auf diese Art von Körperkunst nachdenken.

An die letzte Arbeit von Christo und Jeanne Claude erinnerte uns 

- Ayşe Erkmen, On Water (Auf dem Wasser) 2017, (dazu gibt es u.a. auch dieses Video),

die Seefracht-Container in den Stadthafen von Münster versenkt hat, so dass die Besucher - feuchten Fußes - von einer Seite zur anderen gehen konnten.