Freitag, 2. Februar 2018

Assoziativ Kunstwerke betrachten - die Barnes Foundation in Philadelphia

Website der Barnes Collection mit dem Bild von Paul Cezanne,
Junge mit roter Weste. Rechts daneben die Leiste mit visuell
ähnlichen Bildern, die man per Schieberegler verändern kann.
Vor einiger Zeit bin ich auf der Website der Barnes Foundation in Philadelphia hängen geblieben, weil diese Seiten so anders sind als die üblichen Internetauftritte von Museen. Das wollte ich unbedingt mit den Kunstsurfern diskutieren.

Als erstes fällt einem auf der Seite der Hinweis auf die Idee des Sammlers und Museumsgründers Albert C. Barnes auf, der Menschen lehrte Kunstwerke hauptsächlich in Bezug auf ihre visuellen Beziehungen anzusehen. Darunter sind dann jede Menge Bilder, Skulpturen und Gegenstände zu sehen, die man ganz nach Lust und Laune neu mischen kann, wenn man auf eines der Symbole in der Leiste direkt über den Bildern klickt (nach Farben, Linien, Licht, Raum oder zufällig gemischt, bzw. nach einem Stichwort, das man selbst eingeben kann). Das Ganze ist erstmal ziemlich verwirrend, zugleich aber auch fesselnd.



Ich selbst habe dann erstmal versucht, mir einen Überblick über die Räume des Museums zu verschaffen. Aber das ist mir nicht gelungen! Leider gibt es auf der Website nämlich keinen Museumsplan und auch keine Einzelpläne oder Darstellungen der Räume. Sie erschließen sich immer nur über die Bilder!

Beim Kunstsurfen sind wir von der Nordwand der Haupthalle ausgegangen und haben uns erstmal die bunte Hängung angesehen; und ja, diese merkwürdigen "Kreuze" zwischen den Bildern sind Türscharniere, die Barnes auch gesammelt hat. Als erstes Bild haben wir dann

- Auguste Renoir,  Die Familie Henriot (La Famille Henriot), um 1875

genauer betrachtet. Es hängt oben in der Mitte über den großen Durchlass zum nächsten Raum. Ursel erinnerte es gleich an das Puzzle aus dem Kurs zur Modernen Kunst des Städlmuseums, das wir mal zusammengesetzt hatten (Éduard Manet, Die Krocketpartie, 1873), das ich aber so schnell dann doch nicht im Internet wiedergefunden habe. Deswegen haben wir ein wenig über die Familie sinniert, sind es Vater (mit iPad!!) und Mutter mit einer Tante? Sind es Eltern mit einer jungen Tochter? Wem gehören die beiden Hündchen?

Öffnet man das Bild auf der Seite der Barnes Foundation, dann bekommt man sofort einen Eindruck von den Möglichkeiten, die das assoziative Sehen dort bietet. Links erscheint das Bild, rechts in zwei Reihen ganz verschiedene Bilder, bei denen auf den ersten Blick nicht klar wird, was sie mit dem Hauptbild verbinden soll. Und man kann diese Bilder nochmal mischen, wenn man den Zeiger über der Bilderreihe verschiebt.

Wir sind dann gleich bei einem der ersten Bilder hängengeblieben:

- Auguste Renoir, Nach dem Bad

Die Assoziation Boticelli kam auf. Also schnell mal nach Boticelli suchen. Haben die Figuren dieses Malers wirklich Ähnlichkeit mit Renoir?

- Sandro Boticelli, Minerva und Kentaur (Pallade e il centauro), 1482/83 oder nach 1485

oder passt vielleicht besser Rubens?

- Peter Paul Rubens, Fortuna and Virtus

Da waren wir also mittendrin im assoziativen Sehen!!

Und was hat das folgende Bild mit dem Familienbild der Henriots zu tun, von dem wir ausgegangen waren? Ist das überhaupt Renoir? Das ist doch viel flüchtiger gemalt und von wo aus sieht man den Frauenkopf eigentlich?

- Auguste Renoir,  Frauenkopf mit rotem Hut

Und zeigt das folgende Bild dieselbe Frau, nur deutlicher gemalt, nicht so skizzenhaft und flüchtig?

- Auguste Renoir, Frau mit Handschuhen (Femme au gant)

Da hatte uns also die Familie Henriot mit ganz unterschiedlichen Bildern in Verbindung gebracht.

Wir sind auf dem "Weg" des Herrn Dr. Barnes noch anhand eines anderen Bildes weiter gegangen:

- Paul Cezanne, Junge mit roter Weste, 1888-1890

Cezanne hat von seinem Modell Michelangelo di Rosa, mehrere Bilder gemalt. Auf diesem Bild ist er frontal zu sehen. "Der schielt aber", war der erste Kommentar. Und die Haltung mit den hochgezogenen Schultern - er sieht unglücklich aus und so ein bisschen "mucksch" (in Bayern ist das Wort unbekannt, deshalb hier die Übersetzung: mürrisch), fanden wir. Dann schauten wir auf den Raum, in dem der Junge sitzt, ein Bett, eine Wand mit Bild, links ein Vorhang... Und dazu das Rot der Weste, das eigentlich aus dem Bild heraus sticht und trotzdem den Blick auf den Kopf des Jungen lenkt. (Nachtrag 6.2.2018: Ursel hat dazu ein schönes Video gefunden: https://the-artinspector.de/galerie/cezanne-knabe-mit-der-roten-weste!)

Und wie steht es mit den Vergleichsbildern auf der Seite der Barnes Foundation?

- Junge mit roter Weste

"Oh, schaut euch mal das an, was es da zu sehen gibt!" Der Ausruf wies auf das folgende Bild hin:

- Georges Rouault, Mädchen I, Von hinten mit roten Strümpfen (Fille I– vue de dos aux bas rouges)

Das verführte dann sofort dazu, auf der rechten Seite weiter nach unten zu scrollen und so landeten wir schließlich bei mexikanischer Volkskunst

- Pedro Antonio Fresquis, Erzengel Michael (San Miguel)

- Pedro Antonio Fresquis, Schmerzensmutter (Nuestra Señora de los Dolores)

Und verglichen am Schluss die mexikanische Schmerzensmutter noch kurz mit einem europäischen Bild mit demselben Motiv:

- Schmerzensreiche Madonna unterm Kreuz, Gotische Wandmalerei (Lärbro kyrka, Gotland)

Die mexikanische Schmerzensmutter hängt übrigens als ganz kleines Bild oben in der Mitte der nördlichen Wand des 21. Raumes des Museums und unter ihr in einer Vitrine stehen afrikanische Skulpturen, die auch zu der umfangreichen Sammlung gehören.

Und wer bis hierher gelesen hat, der erfährt jetzt auch noch etwas mehr über die Sammlung: Albert Barnes konnte seine Kunstsammlung nämlich schon ab 1912 anlegen, weil er mit einem Pharmaunternehmen ein großes Vermögen erwirtschaftete. So kaufte er selbst bzw. durch Freunde in Paris moderne Kunst an: Unter den ersten Erwerbungen sind van Goghs Postbote Roulin und Picassos Frau mit Zigarette. Seine Erwerbungen stellte er 1923 erstmals in der Kunstakademie von Pennsylvania in Philadelphia aus. Das wurde zu einem großen Misserfolg, weshalb seine Bilder niemals wieder öffentlich ausgestellt werden sollten. Er baute also sein eigenes Museum und erlaubte durchaus nicht jedem es zu besuchen. So bekamen Arbeiter, egal ob schwarz oder weiß, immer die Erlaubnis, aber alle anderen mussten schriftlich darum bitten und besonders Kunstkritiker und andere Fachleute wies er gern ab, während er Künstler auch persönlich durch die Sammlung führte. In seinem Testament übertrug Barnes übrigens die Leitung der Barnes Foundation der Lincoln University, einer Hochschule für Afro-Amerikaner. (zitiert nach Wikipedia)