Donnerstag, 26. November 2015

CARITAS – Nächstenliebe von den frühen Christen bis zur Gegenwart

Wie jedes Jahr vor Weihnachten habe ich nach einem Thema gesucht, das irgendwie mit Weihnachten in Verbindung zu bringen ist. "Caritas", finde ich. passt sehr gut zu diesem Fest, vor dem jedes Jahr die Spenden für "barmherzige Werke" in die Höhe steigen. Und ja, mit dem Treffen Ende November ging das Kunstsurfen dieses Jahr zuende und wir treffen uns erst im Januar wieder.

Die Ausstellung "CARITAS – Nächstenliebe von den frühen Christen bis zur Gegenwart" ist bis zum 13. Dezember 2015 im Diözesanmuseum Paderborn zu sehen.

Auf Wikipedia findet sich die Definition: „Karitas (von lat. caritas = Teuerung, Hochachtung, hingebende Liebe, uneigennütziges Wohlwollen) ist im Christentum die Bezeichnung für die tätige Nächstenliebe und Wohltätigkeit. Die wertschätzende, helfende Liebe gilt seit den Anfängen des Christentums als christliche Tugend. … Die Tätigkeitsbereiche sind insbesondere Kranken- und Altenpflege, Hilfe für Familien in Not, das Besuchen von Gefangenen und Solidarität mit Ausgestoßenen. …. Diese Fürsorge für Kranke und Hilfebedürftige brachte der jungen christlichen Kirche recht schnelle Popularität. Dies wird als einer der Gründe gesehen, dass die meisten Herrschenden, auch wenn sie selbst nicht zu Christen wurden, christliche Missionare zumindest duldeten und manchmal auch selbst unterstützten.“


Ein Grund für das Ausstellungsthema in Paderborn ist sicher, dass der Caritasverband des Erzbistums sein 100-jähriges Bestehen feiert. Aber zugleich wollte man natürlich zeigen, wie vielfältig die Darstellungen sind und wie weit das Thema in die Geschichte des christlichen Abendlandes zurückreicht.

Die Ausstellung beginnt dementsprechend bei den frühen Christen, folgt den Spuren ihrer Institutionalisierung in den Herrschaftsgebieten mittelalterlicher Könige und Bischöfe und beleuchtet die Gründung der ersten Hospitäler, Armen- und Waisenhäuser in Zeiten von Pest, Kriegen und Hungersnöten. Sie zeigt auch, wie seit dem 16. Jahrhundert, der Zeit der Reformation und Gegenreformation, die Fürsorge für die Armen, Alten, Kranken und Fremden immer mehr zu einer Aufgabe der Stadtoberen wurde, die mit eigenen Einrichtungen der Not abzuhelfen suchten. Als während der Industrialisierung im 19. Jahrhundert immer mehr Menschen vom Land in die Städte zogen und mit der Klasse der Arbeiter neue Formen der Massenverelendung entstanden, ergriffen auch kirchliche Mitarbeiter die Initiative und gründeten caritative Verbände. (zitiert nach der Pressemitteilung vom 30.9.2014)

Wir Kunstsurfer haben uns von der Zeit um 1000 n. Chr. bis in die Gegenwart vorgearbeitet und uns zuerst dem barmherzigen Samariter gewidmet. 

- Reichenauer Evangelistar, Miniatur zum Gleichnis vombarmherzigen Samariter, Reichenau, um 1020,

Gezeigt wird in der oberen Szene der Überfall auf einen Mann, der mit verdrehten Gliedern am Boden liegt, während er in der unteren Szene auf einem Pferd sitzt. Daran hat uns zuerst irritiert, dass er gefesselt zu sein scheint. Doch dann wurde klar, dass er offenbar geschient und festgebunden wurde, um seine - gebrochenen? - Glieder während des Transports zur Herberge zu schonen. Rätsel gab uns der Mann auf der linken Seite auf, während auf der rechten Seite der barmherzige Samariter dem Herbergswirt Geld in die Hand drückt.

Während hier der Raub und die Hilfe im Mittelpunkt der Darstellung stehen konzentriert sich das

- Fresko mit Darstellung der Versorgung von Bedürftigen, letztes Viertel 13. Jh., aus Bergamo, deutlich mehr auf die mildtätigen Personen, die das ganze Bild ausfüllen, während der Arme, dem geholfen wird, zu einer Randfigur schon fast außerhalb des Bildes degradiert ist. Immerhin reicht der Mann ganz rechts dem Armen einen Laib Brot, während der nächste einen kleinen Waschzuber heranträgt, der folgende einen Sack - wohl mit Lebensmitteln? - und der letzte eine Wasserflasche. Aufgefallen ist und das rote Kreuz auf weißem Grund, das wir von den Maltesern her kennen. Tatsächlich war es in der Entstehungszeit des Bildes als Georgskreuz bekannt

Da es in allen diesen Darstellungen um die Caritas geht, schloss sich hier ein Bild an, das das Weltgericht und die Verhaltensweisen im Leben thematisiert, die entweder in den Himmel oder in das Fegefeuer führen:


Die Sieben Werke der Barmherzigkeit sind übrigens: Hungrige speisen, Durstige tränken, Fremde beherbergen, Nackte kleiden, Kranke pflegen, Gefangene besuchen, Tote bestatten. Während die Sieben Todsünden aus folgendem Veralten bestehen: Hochmut; Geiz; Wollust; Zorn; Völlerei; Neid und Faulheit (Trägheit des Herzens).

Wir haben uns die beiden Bildreihen am unteren Rand gründlich angeschaut und unter anderem festgestellt, dass die Werke der Barmherzigkeit alle von einer Christusgestalt gesegnet und z.T. von Heiligenfiguren ausgeführt werden, während die Todsünden von kleinen Teufeln begleitet sind. Aber es ist natürlich noch viel mehr auf diesen Bildern zu sehen und jeder darf selbst feststellen, ob er die Szenen den Werken zuordnen kann. 

Der Personifikation der Caritas, deren Bildnis vom 16. bis zum 19. Jahrhundert besonders gern an Grabmälern hochstehender Persönlichkeiten angebracht wurde, kamen wir mit dem Bild von Raffael näher:

- Personifikation der Caritas, mittlere Predellentafel des Retabels aus der Grabkapelle der Familie Baglioni in Perugia, 1507  

Wobei uns besonders die "Farblosigkeit" des Bildes - einer sogenannten Grisaille - auffiel, das die Caritas als Frau mit vielen kleinen Kindern in den Armen darstellt, von denen einige an ihren Brüsten zu saugen scheinen.

Das Thema des Samariters wird dann in drei weiteren Bildern, mit denen wir uns immer mehr der Gegenwart genähert haben, wieder aufgenommen.

- Eugène Delacroix: Der barmherzige Samariter, 1852

- Erich Heckel, Triptychon „Der barmherzige Samariter“: Räuber, Verwundeter, Samariter, kollorierter Holzschnitt, 1915,

Beide Künstler stellen dasselbe Motiv dar, allerdings mit ganz unterschiedlichen Mitteln, handelt es sich doch zum einen um ein Ölbild zum anderen um einen expressionistischen Holzschnitt. Und doch fallen die Gemeinsamkeiten ins Auge!

Dagegen hat Pablo Picasso in seinem Frühwerk

- Studie zu „Wissenschaft und Caritas“, 1897

ein ganz anderes Sujet gewählt. Im Text dazu heißt es auf der Ausstellungsseite: "Unter dem Eindruck des wissenschaftlichen Fortschritts in der Medizin führt der Künstler eine Ordensschwester als „Caritas“ und einen Arzt am Krankenbett zusammen."

Als letztes wandten wir uns noch einmal der Personifikation der Caritas zu, diesmal in einem zeitgenössischen Foto aus der Sudan-Serie von 2006 von Vanessa Beecroft, das auf den ersten Blick plakativ wirkt und mit dem Titel

- Weiße Madonna mit Zwillingen

erst einmal gar nicht die Barmherzigkeit zu meinen scheint. Doch hat die Fotografin das Motiv der Frau aufgenommen, die nicht wie die Madonna ein Kind auf dem Arm trägt, sondern ein Zwillingspärchen umfasst, das kaum ihr eigenes sein kann. Beide Kinder sind schwarz. Eines scheint an ihrer Brust zu saugen, wobei das weiße kostbar wirkende Seidenkleid beide Brüste in eigenen Ausschnitten frei lässt. Aber auch das kostbare Kleid wird von der Künstlerin wieder konterkariert. Schaut man genauer auf den unteren Rand, dann ist es dort ausgefranst und wirkt von den Hüften abwärts, so als ob es im Stehen getragen wird, obwohl an den Knien deutlich wird, dass die Frau sitzt. Zugleich umspielt die Seide nicht die Beine, sondern ist an beiden Seiten scharfkantig abgeschnitten. Je länger man dieses Bild betrachtet, desto mehr Widersprüche scheinen sich darin aufzutun!

Die Bilder, die hier besprochen sind, befinden sich übrigens auf der Presseseite der Ausstellung.

Und damit wünsche ich allen, die Spaß am Kunstsurfen haben, eine frohe Adventszeit, ein gesegnetes Weihnachtsfest und ein gutes neues Jahr!